Hennings Fragenkatalog:
ALLGEMEINES
Biographisches
• 1973 die Gründung eines Ensembles: an der MuHo Köln zur Aufführung der Werke aus der Kompositionsklasse, aber auch Anderes (ua einige DEA von Kammermusikwerken von Morton Feldmann)
Kompositionsexamen: Falschmeldung
Zum Werkkatalog
• Leere Mitte und vor Allem VERKOMMENES UFER sollen beendet werden, ja
• Pièce Noire II ist für Tonband; geplant war Tonband, Video + Perc
• (Integral Nr. 2) zu für Rolf: damals plante ich ein Gesamtwerk unter dem Titel Integral, bei dem verschiedene Kammermusikstücke rund um das Publikum plaziert werden sollten. Jedes Stück sollte unabhängig von den andern alleine aufführbar sein; Gesamtaufführungen mit dem Titel Integral hätten alle Stücke gleichzeitig nach einer Generalpartitur zusammengefasst. Ein Stück für zwei Klaviere mit dem Titel Trail war geplant, verworfen, ganz anders realisiert worden, sodaß als einziges Stück für Rolf vorliegt. Das Projekt wurde abgebrochen, da mir die technischen Mittel (vulgo: das Handwerk) fehlten, um die Sache in den Griff zu bekommen.
Das Miteinander der Partituren sollte nach dem Hyperzyklus (siehe unter trail ) organisiert werden. Genaugenommen stellt die Beschäftigung mit diesem Hyperzyklus die Initialzündung für meine jetzige Arbeit dar. Eine zeitlang hatte ich sogar überlegt, ob ich dem neuen Projekt seit SCHREYAHN bzw GRENZGÄNGE STEINE den Generaltitel Integral geben soll. Vielleicht ist der Einfluß von Heiner Müller ("Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten") schuld daran, daß bei größeren Aufführungskomplexen immer alle Titel genannt werden.
• enfin habe ich in der Tat zurückgezogen. War nur ein Gelegenheitswerk, an einem Nachmittag auf dem Balkon komponiert...
ÄSTHETISCHE PHÄNOMENE
Frühe Entwicklung
• Erste künstlerische Prägungen und Schritte waren sicher in der Bildenden Kunst: ich nahm teil an einem Kurs über Moderne Kunst, der in einen kleinen Arbeitskreis mündete. Ich kannte mich dadurch früh - mit 15-16 Jahren - sehr gut aus in allem, was mit zeitgenössischer Kunst zu tun hatte. Daher waren mithin meine ersten Werke damals sogenannte "Environements", heute eher "Installationen" genannt.
• Die Pop-Art war damals gerade das Neueste vom Neuen und heiß diskutiert. In meinem Verständnis bestand sie vor allem aus dem Herausreißen eines bildnerischen Details aus dem Zusammenhang und seiner riesenhaften Vergrößerung; oder: das Herausbilden eines Bildnerischen Topos aus einem nebensächlichen Details (siehe Warhol's Suppendosen). Natürlich besteht Pop-Art auch aus anderen Dingen und Sichtweisen (Wesselman, Rauschenberg, etc etc), aber für mich war das der Hauptzweig.
Ins musikalische übertragen hieß das für mich eine Erneuerung des alten Charakterstückes: die Vergrößerung einer momentanen Stimmung, eines musikalischen Sems (mein Bruder promovierte später in Semantik bzw Psycholinguistik und ich bekam schon lange vorher einiges davon mit) ins Allgemeine: Ausschnittvergrößerung wäre das in der Photographie.
uns/euch ist ein solches Charakterstück in diesem Sinne.
Stockhausen
• mein Interesse für asiatische Musik & Kultur allgemein begann mit dem oben genannten Arbeitskreis viel früher. Ich war ja auch Gitarrist + Komponist in einer Rockgruppe, bevor ich Komponist von "E-Musik" wurde und so gab es sicher auch einen Einfluß der Beatles mit ihren indischen Eskapaden. Stockhausen traf ich viel später.
• nicht so sehr ein Ergebnis der Begegnung mit der Theorie als vielmehr eine ganz praktische Erfahrung: ohne die berühmte Stelle, an der in Stockhausen's Kontakten ein Klang nach unten fällt und die Parameter heruntertransponiert werden (um bei Deiner Terminologie zu bleiben bei aller Vereinfachung: ich verstehe, was Du meinst) hätte ich die Idee zur formalen Klammer von SCHWELLE schwerlich gehabt.
• eher auf Boulez, den ich persönlich kennengelernt hatte und der mich zu Proben mit dem SWF-Orchester in Baden-Baden einlud: das waren trotz großen Interesses meinerseits und einer rasch wachsenden Partiturbibliothek die ersten wirklichen "Erfahrungen" mit Aleatorik (er dirigierte damals zB sein Eclat und ich verfolgte die Proben vollständig mit Partitur).
• es ist offenkundig, daß ich meine "chromatischen" Tempi ohne Stockhausens Vorleistung heute nicht benutzen würde. Als Musikdenker, aber auch als immer wieder gegen den Strich arbeitenden Komponisten gehört er zu meinem Stammbaum: unverzichtbar. Ebenso seine Insistenz bei der Notation. Dieser immer wiederkehrende Satz, wenn ein Interpret anders auf die Notation reagiert als der Komponist es sich vorgestellt hatte: "wie soll ich es dann notieren?", den sollte man jedem Komponisten auf die Stirn schreiben: nie aufhören zu lernen, auch von seinen Musikern.
Der Einfluß Fortners war ähnlich und geht über den von Stockhausen in einem Punkte allerdings hinaus: seine Rigorosität sich selber gegenüber, die er auf mich übertrug: die ist wichtig. Sich niemals etwas vormachen, sondern ehrlich sein mit sich selber; nicht selbstverliebt alles akzeptieren was "dabei herauskommt", sondern immer sich Rechenschaft ablegen: das war sein Einfluß.
Stockhausen - Momentform
• wahrscheinlich gibt es durchaus einen solchen Zusammenhang. Jede Seite des Stückes ergibt einen Abschnitt... man könnte das sehr wohl als "Moment" im stockhausenschen Sinne bezeichnen.
• nein, die Idee der Bonsai-Ästhetik hatte mit Webern, meinen Erfahrungen bei der der klangforschung/Psychoakustik im IRCAM und japanischen Einflüssen zu tun.
Die Eigenständigkeit des Einzelmomentes hielt ich immer für gefährlich. Namentlich Stockhausens Vorstellung, man könne den Konzertsaal verlassen, später zurückkommen und man hätte nichts versäumt schlägt auf ihn selber zurück. Ich musste bei einer UA von Hamel in Donaueschingen ("Dharana") einmal pinkelngehen: als ich zurückkam, hatte ich nachweislich nichts versäumt - die spielten immer noch das gleiche. Die Eigenständigkeit des Momentes erschien mir so immer als eine sehr unwillkommene Fortsetzung einer falschen Richtung; eingeschlagen durch Satie mit seiner "Musique d'ameublement".
• Dazu müsste ich erst einmal die Stelle in Stockhausens Buch nachschlagen; das steht aber in meiner Kölner Bibliothek...
Also: wenn direkter Zusammenhang, dann unbewußt (höchste Lust... (Tristan, Ende...)).
Holismus
• Traditionelles Organismusmodell?: naja, ohne Goethe kein Webern, ohne Webern kein Platz etc. Aus der besagten Stelle in meinem Vortrag geht aber glaube ich hervor, daß dies für mich eine ganz konkrete praktische Erfahrung war und keine Theorie, wie das ganze Gedankengebäude hinter meiner Musik viel weniger theorielastig ist als viele Leute glauben. Der Vorwurf dieser Theorielastigkeit hat mich immer verletzt...
• Der Serialismus stand in der ideologischen Kritik, da er in einen Determinismus umschlug (und zwar gleich zu Beginn in den 50er Jahren), der keinen hörbaren Unterschied zum totalen Zufall aufwies: durch totale Kontrolle verloren die Komponisten die Kontrolle. Der Paradigmenwechsel ist in meiner Musik schon von den allerersten Stücken an hörbar: ich kompiniere im emphatischen Sinne Musik. Ich möchte hier nicht wiederholen, was ich zB im "Formpolyphonie-" Artikel in meinem Buch geschrieben habe (S. 12).
In Kürze also: der "ideologische Hintergrund" ist für mich, daß die elementaren Bausteine der Musik übereinstimmen, und je weiter man nach oben geht in der Ordnung (siehe Buch), desto barocker, freier wird der Umgang damit.
Daß dies mit narürlichen Phänomenen in der Narur (in den Naturgesetzen) übereinstimmt ist erwünscht, aber hat mit Ideologie soviel zu tun wie die Entscheidung eines Archtitekten, ein Haus mit Dach zu bauen (damit die Bewohner nicht naß werden) - wo man auch in der Natur überall Dachfunktionen finden kann...
• Diese Allgemeingültigkeit - auch durch den Hyperzyklus - ist in der Tat - s.o. - angestrebt. Ich bestreite aber vehement, daß deswegen in letzter Konsequenz der Komponist dem Zwang des Materials erliegen muß. Da hat man zu sehr auf schlechte Komponisten oder Tabellenvertoner geachtet. Selbst Boulez hat nach "Structures" anders geschrieben. Wenn dieser Zwang so allgemein und konsequent wäre, dann müssten bei allen entsprechenden Komponsiten die Stücke alle gleich klingen. Das tun sie aber nachweislich nicht. Noch nicht einmal meine Stücke (ich lege darauf sehr viel Wert) klingen einander gleich.
Meinen Satz, ich sei "Teil einer selbstentworfenen Maschine" würde ich, da in dieser Richtung mißverständlich, heute garantiert nicht mehr schreiben.
• ein funktioneller Zusammenhang zwischen den "Archtitekturmodellen" und den "Echo-" Stücken besteht nicht. Die Echostücke sind manchmal zwar auch Vorecho, aber haben mit der Strenge der andern Stücke nichts zu tun.
Ein Beispiel, wenn auch ein vertracktes: Ich wollte das Orgelstück vor dem Streichquartett schreiben, und zwar als Vorausecho, um bestimmte Formabläufe etc auszuprobieren. Ich kam nicht weiter und schrieb das Quartett zuerst fertig. Dann ging die Arbeit am Orgelstück weiter, kam in eine Sackgasse; ich fing neu an und schrieb mich wieder fest: kein Weiterkommen (obwohl ich mir sicher war, daß jetzt das zu benutzende Material und die formale Anlage richtig waren - ich war blockiert, vielleicht einfach deshalb, weil es ein Orgelstück war). Daraufhin schrieb ich als Nachecho zum Streichquartett (von der formalen Anlage her) und mit dem Material des Orgelstückes das Streichtrio (Broken Book Skizze), danach war ich freigeschrieben und machte mich ohne weitere Probleme an das Orgelstück.
Formpolyphonie:
• Ich habe 1970 bei den Darmstädter Ferienkursen sogar einen Arbeirskreis "Politische Musik" organisiert, bei dem ich auch Monsieur Dahlhaus dabei hatte...
Als Beispiel diente meine Komposition Einsatz für Kristi, ein Stück, das recht basisdemokratisch organisiert war.
Dies hat sich im späteren Werk nicht niedergeschlagen. In den jetzigen Werken wird der Hörer auch garnicht politisch-gesellschaftlich aktiviert, sondern erhält schlicht die (Wahl-) Möglichkeit des selektiven Hörens. Ich würde also eher von einer Emanzipation des Hörers sprechen; aber vielleicht meinst Du auch gerade das. Wichtig ist mir dabei auch die Überzeugung, daß der persönliche Hintergrund des Hörers untrennbar mit dem zusammenwirkt, was er hört (siehe Buch S. 155 ff). Jeder also hört letztlich seine eigene Musik, darauf zielt mein Werk auch ab.
• Noch nicht einmal geht es um eine Relativierung der Autorenintention, da es ja keine "Freiheiten" bei der Ausführung gibt: alles ist vorgesehen; auch die Vertauschung des NAH und fern muß ja vom Autor so vorgearbeitet sein, daß es funktioniert.
• So ganz verstehe ich die Frage nicht... Die Prozesshaftigkeit der Form entwirft insofern eine "Zweckhaftigkeit", daß sie ein zu erreichendes musikalisches Ziel aufstellt. Zur Formpolyphonie sehe ich da keinen Widerspruch.
Wohl gibt es prozesshafte und nichtprozesshafte Passagen im Werk; aber erst aus dieser Binnenspannung erwächst auch der formale "Sog", den ich anstrebe.
• Man kann meine Polemik durchaus wörtlich nehmen: sie richtete sich gegen die Komponisten der "Neuen Einfachkeit" und ihre Vermarktung und redete einem musikalischen Diskurs das Wort, im Gegensatz zu den dümmlichen Auslassungen (zB von Bose, der dergleichen auch heute noch wiederholt) markttechnischer Provenienz. Der Begriff vom Materialstand hat mich zwar kurzzeitig - Anfang der 70er Jahre - sehr beeindruckt, aber daß ich gesagt hätte: "der Stand des Materials ist heute so & so, ergo postuliere ich nun die Formpolyphonie", so war es sicher nicht. Ich habe meinen persönlichen Standpunkt versucht, aus der Geschichte herzuleiten. Den Widerspruch sehe ich auch hier nicht...
• Die jetzige Arbeit sehe ich eher als Fortführung von SCHREYAHN, das, als ich es schrieb, noch garnicht Teil eines größeren Werkes war. Das kam danach. Im Rückblick erscheint mir auch die Werkgruppe Rezital und RELAIS (l'œil) Atila roundling als Initialzündung des Werks: als Muster für die Möglichkeiten horizontaler und vertikaler Verknüpfung/Vernetzung.
Es gibt da einen kapitalen Unterschied zwischen den Erfahrungen mit SCHWELLE undVERKOMMENES UFER einerseits und dem Werk der letzten Jahre andererseits: bei den beiden genannten Kompositionen strebe ich nach wie vor komplette Aufführungen an. Beim Werk seit GRENZGÄNGE STEINE ist dies ab einer gewissen Dauer praktisch unmöglich; hier geht es eher darum, immer wieder neue und andere Werkausschnitte aufzuführen.
• Ich bin ein wenig vorsichtig mit Wissenschaftsvergleichen. Wer weiß, ob ich die Teilchenphysik (eher darum geht es als um Quantentheorie) richtig verstanden habe: das Wort vom "creativen Irrtum" gibt es ja schon länger. Ob es sich tatsächlich um ein Äquivalent handelt maße ich mir nicht an, zu postulieren. Inspiriert hat mich das schon, übrigens gehört das in Skizzen entstehende Orchesterwerk mit dem schönen Titel TOP auch noch dazu.
Wenn es manchmal klappt und der Vergleich Wissenschaft / Kunst funktioniert, kann es allerdings zu glückhaften Konstellationen führen. Ich war sehr davon angetan, als ich vor Jahren in Göttingen dem Nobelpreisträger Prof. Eigen gegenübersaß und ihm die Noten von trail erklärte und wie er mir auseinandersetzte, daß ich da nicht nur zu etwas angeregt gewesen sein, sondern daß es sich dabei um einen echten Hyperzyklus handle...
• Ich habe darüber oben schon einiges gesagt. Der Hyperzyklus war ganz sicher eine Hauptquelle. DIE Hauptquelle aber dürfte in "Davinas Fragen" angesprochen sein: mein Lebensgefühl. Immerhin sind auch die allerersten Stücke schon charakterisiert durch Überlappungen, Gleichzeitigkeit von Gegensätzen etc. Dazu kamen Faszinationen für Raumklänge (Monteverdi etc) und Polyphonie... ich habe im Sommer vor meiner Aufnahmeprüfung an der Hochschule Freiburg einen Sommerkurs mitgemacht in Staufen/Baden, wo ich auch in einem Chor mitsang. Dort wurde extensiv Josquin geprobt und gesungen: das kannte ich bis dahin nicht, und es war eine Offenbarung für mich. Ich habe das geliebt!
• Diese Frage überkreuzt sich ein wenig mit einer früheren... Aus der "Ästhetik des Kleinen" sind die Echo-Stücke garnicht herzuleiten. Sie ergeben, aneinandergereit, eine kleinere Version des Großwerks, wenn auch viel freier und ohne Gleichzeitigkeiten. Nennen wir sie "Schwesterstücke" zu den Großen.
Begonnen hatte es mit Echo II. Ich hatte mit viel Schweiß und Arbeit nerv II komponiert und - im Hinblick auf die Überlappung mit ANDERE RÄUME einerseits und WEITER andererseits viele Dinge nicht tun dürfen, auf die ich aber musikalisch gleichwohl Lust hatte. Daher bekam ich die Idee, ein Schwesterstück in der gleichen Besetzung zu komponieren, das mit dem selben Material ganz frei und rhapsodisch umgeht. Das Stück müsste in kürzester Zeit entstehen. Und so geschah es auch. Daraufhin entschloß ich mich, das vorher geschriebene dense in der erweiterten Fassung zum Echo I zu erklären; und seitdem läuft die Reihe weiter...
• Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Stücken des Werkkomplexes seit SCHREYAHN ist auf der Materialebene zunächst durch zwei Dinge gegeben: jedes Stück bezieht seine Skalen und davon abgeleitet seine Rhythmen etc von einer "Mutterskala", die nie zur Gänze, sondern nur in immer wieder neu zu definierenden Ausschnitten benutzt wird. Die wichtigsten Zentraltöne (wichtig, da Zentraltöne von einzelnen "Gesten") sind Teil dieser Skalen. Und jedes Stück ordnet sein Material zu einer Auswahl von diesen insgesamt 8 "Gesten", deren jede einen bestimmten Bewegungs(arche-)typus mit einem Zentralton mit entsprechendem Tempo, einer Dynamik, Klangfarbe etc sowie einem "Vektor" (dynamisch oder statisch, wenn dynamisch wachsend oder abnehmend) zu einer unverwechselbaren Gestalt verdichtet. Diese "Gesten" (mir ist bislang kein besserer Begriff eingefallen - "Strukturen" ist zu allgemein, da die gestalthafte Qualität des "Gestus" nicht darin enthalten sind; "Themen" sind es schon garnicht: die "Gesten" sind nicht themenhaft, entfernt könnte man allerdings ihre Transformationen und ihr Ineinander-Übergehen mit "Durchführung" vergleichen...) werden für jedes Stück ähnlich wie die Skalen in einer neuen Auswahl zusammengestellt.
Der Zusammenhang zwischen up, down, stramge und charm ist übrigens erheblich enger als zum Beispiel der zwischenWEITER und up, da hier noch eine andere Komponente hinzukommt: die vier Stücke dieses Zyklus (der 1. Satz von Tau gehört auch dazu) sind ganz konkret aufeinander hin komponiert, und zwar über die gesamte Dauer jedes der Stücke, während sie sich auf ähnliche Weise nur in den Schlußtakten des Orchesterstückes auf WEITER einstellen.
Inhaltlich gibt es von Stück zu Stück eher Unterschiede, aber das ist auch so angestrebt. Als Beispiel: tôku/NAH überlappt sich fast mit der gesamten Dauer mitANDERE RÄUME, die beiden Stücke gehen mit weitgehend identischem Material um (mit Ausnahme der Stimmen & Texte), kommen aber zu ganz anderen Formen und Aussagen. Das ist kein Widerspruch, sondern Polyphonie im besten Sinne des Wortes.
• Die Differenzierung der einzelnen Stücke habe ich eben gerade versucht zu erläutern. Selbstverständlich kommen zu den genannten Parametern noch räumliche Aufteilung, Besetzung etc dazu. Die Durchhörbarkeit wird gewährleistet durch gemeinsame harmonische Felder und rhythmische Gemeinsamkeiten oder auch Gegensätze: ganz im Sinne der klassischen Polyphonie, nur auf höherer Ebene.
• die jeweils "neuen" Stücke werden durch die zuletzt genannten Maßnahmen auf die anderer Stücke zugeschnitten; jedesmal ein wenig anders, mit Schnitten, Blenden formal verbunden.
Die polyphone Überlagerung wird bei der kompositorischen Arbeit vor allem durch gemeinsame harmonische Felder gesteuert; die Tempi sind meist in harmonischen Relationen zueinander gehalten. Wenn die Tempi einigermaßen stimmen, ergibt sich fast zwangsläufig ein richtiger Zusammenklang. Man hört zum Beispiel in der Aufnahme von Donaueschingen, daß das Ende von nerv II mit dem Beginn von WEITER nicht optimal koordiniert ist (naja: ich höre das...), da die Tempi nicht ganz stimmen. Trotzdem "paßt" es einigermaßen, da der Beginn des Orchesterstückes durch sein Hin- und Herwechseln sich weitgehend auf das Violinkonzert einläßt.
Der extrem leise Werkbeginn bei Tau ist in der Tat prekär, aber auch ungemein aufregend, wenn er gemeinsam mit den anderen Stücken des Zyklus gehört wird: er schält sich langsam aus dem Kontext heraus.
• Eine "gewisse Nähe" meinethalben, man muß auch Gönnen können. Es gibt allerdings einen wichtigen Unterschied: bei Stockhausen steuert die Formel das gesamte Werk in jeder Einzelheit. Bei meiner Arbeit ist dies nicht so: mein Umgang mit dem Material ist erheblich freier und vor allem nicht als Projektion vom Kleinen zum Großen gedacht; also nicht geschlossen, sondern offen. Die Verwendung des Begriffes "Matrix" ist hier im Übrigen gefährlich: es gibt ja in jedem Stück eine andere "Matrix", die indes eine Nummernfolge ist, die die Reihenfolge der Skalentöne kontrolliert. Das hast Du glaube ich hier nicht gemeint, ich habe in dem Sinne, den ich in Deiner Frage vermute, geantwortet.
• Die größere Offenheit drückt sich zum Einen in dem gerade geschilderten Tatbestand aus. Zum Andern - und abgesehen von den verschiedenen Aufführungsmöglichkeiten - durch den in jedem Stück ein wenig anders berücksichtigten Zwang, auf die benachbarten Stücke einzugehen und ein gemeinsames Ganzes zu bilden. Das mag im Einzelfall sogar (Beispiel: das Verhältnis ANDERE RÄUME / nerv II) eine grandiose Schlußsteigerung im einen Stück im Hinblick auf eine besondere Passage im andern Stück bedeuten, wenn auch als Einzelfall. Generell gehört es zum kompositorischen Ziel, den Widerspruch zwischen angestrebter Finalwirkung jedes Stückes (jeweils wieder auf andere Art) und dieser ebenso angestrebten Offenheit zu überwinden.
Technische Fragen:
• Die Temposchichtungen gehen vom Tempo aus, das jeweils mit einem Zentralton korreliert und so leicht fassbar bleibt: ein c verhält sich zu einem g wie 2:3, und so können die Tempi 61 (=c) und 92 (=g) sehr leicht übereinandergelagert werden.
• Aus der Verschiedenheit der Materialstrukturen ( = der "Gesten") und aus der ganzen Anlage meiner Musik resultiert die Wichtigkeit des Hörenkönnens (oder: Verstehenkönnens). Allerdings ist dies keine absolute, sondern eine relative Größe, abhängig von Vorbildung, Erkenntniswilligkeit etc des Hörers. Ich gebe zu, daß einzelne Passagen des Ganzen bei Übereinanderlagerung ganzer Stücke (Donaueschingen) nicht gleichzeitig durchgehört werden können. Dies ist aber kein Widerspruch; der Hörer wird je nach Sitzplatz und Hörfähigkeit (s.o.) Anderes oder weniger oder mehr hören. Die Forderung der Durchhörbarkeit besteht auf jeden Fall im Einzelfall eines Stückes (ich verweise allerdings auf Charles Ives' Memo "how do you know you don't hear?" in Bezug auf dichte Überlagerungsstellen).
Ästhetische Fragen (nicht weiter differenziert):
• Postmoderne: es war klar, daß eine Innovationswelle wie in den 50er Jahren des XX. Jahrhundrts nicht ungebrochen auf alle Zeiten weitergehen würde. Ich bin kein Marxist: die Geschichte geht nicht auf einen Endpunkt zu, an dem sie sich in einem goldenen Zeitalter erfüllt; also auch die Musikgeschichte nicht. Und wenn es so wäre, so wären es die 50er Jahre sicher nicht gewesen.
Daß für alles und Jedes ein neues Etikett gefunden werden müsste war ebenso klar. Was unter Postmoderne subsumiert wurde, war allerdings allzuoft ein beliebiges Durcheinander mit oft eindeutig rückwärts gewandter Philosophie = Restauration.
Inzwischen sprechen manche wieder von einer Neomoderne, ich laß' sie reden und lege eigentlich garkeinen Wert darauf zu wissen, mit welchem Etikett meine Musik beklebt wird.
• Über die Noten hinausgehende Aussage: das ist wahrscheinlich eine für mich typische Antwort: Ja und nein. Im Moment des Komponierens und jede Partitur für sich - da würde ich Stravinskys Wort rechtgeben, nach dem Musik nichts und rein garnichts außer den Noten transportiert. Trotzdem... es ist mir klar, daß die Gesamtanlage meiner Musik selbstverständlich über die Noten hinaus verweist auf politische Vorstellungen von Gleichberechtigung verschiedener Schichten etc.
• Kann Musik politisch sein?: Im eben gesagten Sinne ja. Aber nur in diesem Sinne. Politische Musik im Sinne von Agitationsmusik ist austauschbar: ein Marsch ist ein Marsch ist ein Marsch, bei den Kommunisten und bei den Faschisten.
Meine Musik handelt vom Respekt vor dem Anderssein, vom Den-Andern-Vortreten-Lassen; eigentlich ist sie (ich meine das Gesamtwerk seit 1989) nicht nur eine musikalische, sondern auch eine humanistische, eine politische Utopie.
• Welche Funktion hat Musik?! Eigentlich waren die bisherige Fragen Teilfragen hierzu. Unmöglich, dies mit einem Satz zu beantworten. Musik ist Spiegel der Welt, so wie sie ist, so wie sie sein könnte/sollte, so wie sie nicht sein sollte (Musik ist also auch Klage), musikalisches Bild philosophischer Gedankengebäude, Äußerung privater Regungen, Musik ist Liebe, Haß, Musik ist Denksport, Glasperlenspiel, Volksunterhaltung (im guten Sinne), Bildungsinstrument, Erziehungsmittel, und so viel mehr.... über mein REQUIEM habe ich geschrieben "leben ist gegen den Tod ansingen, sterben: sich in Klang auflösen" - Musik ist, in der Musik geht es um Leben und Tod.
EINZELNE WERKE:
Zu Maro & STILLE:
• Bei diesem Stück war das polyphone Verhältnis unter den Einzelsätzen noch sehr rudimentär: Polyphonie spielt sich ab in dem Spannungsfeld der einzelnen Schichten in STILLE. die ersten beiden Sätze habe ich verknüpft durch einen gemeinsamen Ton (das hohe h) von Klavier und Violine; und das nicht einmal in der Partitur. Ich habe die Partitur nicht hier in Hannover; aber Du wirst sicher die Stelle leicht finden.
Requiem:
• Durch die Nichtaufführung von SCHWELLE als Ganzem erlangte dieses Stück für mich eine quasi existenzielle Bedeutung. Daher der Transfer ins REQUIEM. Eine genuin musikologische Begründung gibt es nicht.
SCHWELLE:
• Ich wollte vor allen Dingen einen größtmöglichen Farbenreichtum, darüber hinaus - je nach Kontext (ja, natürlich ist dies kontextbedingt; niemand hört jeden Klang absolut und denkt: aha, Pierrot Lunaire...) - durchaus eine Art Semantik.
Vergleich: das Anna Livia Plurabelle - Kapitel aus Finnegans Wake von Joyce, in das hunderte, wenn nicht tausende von Flußnamen eingewoben sind als Metatext. Die Parsifalglocken in SCHWELLE III dürfte man erkennen können, einige wenige andere Farben auch... kontextbezogen: die Parsifalglocken natürlich deswegen, weil es nacheinander vier Töne in der "richtigen" Reihenfolge sind. Würden die Bayreuther Klangfarben benutzt, wäre der Fall absolut klar.
Schönbergs letztes Stück aus op 19 würde man hören, wenn der Dirigent der UA etwas kapiert hätte und es hörbar gemacht hätte. Aber das spielt in ein hier nicht zu erörterndes Kapitel über den Zusammenhang von Komposition und Dirigieren/Interpretation hinein - auch eine Ar Kontextbezogenheit.
• Es existiert leider kein Tonband zu SCHWELLE. Nach einer persönlichen Anfrage bei Boulez Mitte/Ende der 80er Jahre lud der mich ein, das Tonband im IRCAM zu realisieren. Das wäre ca ein Jahr Arbeit gewesen. Da SCHWELLE aber für Orchester und nicht für Ensemble (=Intercontemporain) geschrieben ist gab es keine Möglichkeit für einen Auftrag: ich hätte ein ganzes Jahr Paris ohne Dirigate etc + Miete und alles was man braucht selber finanzieren müssen. Ich konnte es nicht; gab die Einladung zurück zugunsten eines Projektes mit Ensemble, wofür ich dann auch einen Auftrag bekam - daraus wurde PIÈCE NOIRE und der Anfang der Arbeit an DUNKLES HAUS.
Seitdem wüsste ich vielleicht eher, wie ich an Förderungen - DAAD oder was weiß ich - kommen könnte, um das Projekt zu realisieren. Gleichzeitig bin ich am Nachdenken, ob ich für Ensemble und ohne Tonband eine Neufassung mache... das Problem ist die Zeit: ich dirigiere, komponiere natürlich an meinen neuen Stücken, organisiere... und das Komponieren an den aktuellen Stücken ist mir näher als die Spielbarmachung eines alten Werkes; auf der anderen Seite habe ich 6 Jahre mit diesem Stück verbracht, die verloren sind, würde es NIE gespielt...
• Das Rückwärtslaufen der Jahreszeiten hat den Grund, das Stück mit einer enormen Steigerung beenden zu können: alles läuft ja auf den SCHWELLE-Moment hinaus, wo durch die Beschleunigung aus einem Rhythmus eine Tonhöhe wird etc...
Auf der andern Seite fand ich diese Gegenläufugkeit schön. Keine Ahnung,warum. Als Gegenmittel zu all den bis dahin schon komponierten "Jahreszeiten"? Oder aus "astronautischen Gründen" (siehe Analyse zu Turm )?
• Die erste Anregung, wenn überhaupt von einem der beiden, kam von Cage. Trotzdem fand ich die Art, wie Stockhausen und Cage mit Sternkarten umgingen, immer sehr naiv. Ich projeziere entsprechend die Sternbilder nicht einfach auf ein Notenblatt; mir ging es eher um eine wirkliche Umsetzung: Heranziehung der Entfernungen (in Lichtjahren = Hertz) etc...
• Da gibt es keine Beliebigkeiten, da ich ja zwar die Sternkarte quasi wissenschaftlich genau umgesetzt habe, aber die Parameter der Umsetzung selbst definiert habe. Darüber hinaus habe ich nicht irgendwelche Vogelrufe imitiert (kuckuck), sondern in ihr Inneres gehorcht und weitergeschrieben. Ich glaube eigentlich nicht, daß ein Hörer unbedingt an Amseln denkt, wenn er SCHWELLE I hört.
• Nein, bei SCHWELLE gab und gibt es keine aufführungspraktische Utopie. Nur Pech: ich war zu jung, als daß ein Redakteur mir ein ganzes Konzert gewagt hätte zu geben. Der damalige SWF-Chef (Hommel, später Darmstädter Ferienkurse) wollte die UA in Donaueschingen haben, aber Josef Häusler stellte sich quer. Schlicht und einfach: Pech....
Nachdem der I. und III. Teil in München bzw Köln aufgeführt war, kamen die Herren Redakteure zu dem Schluß, das Stück sei ja schon gespielt worden und weiteres Engagement in der Sache unnötig: so schrieb mir allen Ernstes der vielgerühmte, aber leider strohdumme Dr. Clytus Gottwald, das Stück sei "ja kürzlich schon gespielt worden. Im Übrigen..." sei der von mir für das Cover der Partitur benutzte alte Stich "eine Fälschung des 19. Jahrhunderts". Laß Deinen Sohn nie Komponist werden, Henning...
• Die SOLI und ENSEMBLES funktionieren in der Tat wie Fußnoten, nur haben sie einen völlig anderen Hintergrund: sie sind nur das Material, aus dem dem Stück komponiert wurde, sie projezieren nicht das Stück oder seine Archtitektur selber.
Das geht zurück auf meine Beschäftigung mit den Brontë-Schwestern und ihrem Jugendwerk Gondal, auf das ich durch den Brontë-Text von Arno Schmidt aufmerksam wurde. In diesem Buch (das übrigens mikroskopisch klein geschrieben war) waren alle Materialien als Bestandteil der Komposition mit integriert: ein Lexikon der Personen, Stammbäume, Karten etc. Das war die Inspiration, die mich dazu brachte, Skalen, Permutationsmuster etc in das Stück - ja, eben wie Fußnoten - einzufügen.
• Vollmundig?... naja, ich war 27 Jahre alt damals und war mir sicher, einen musikhistorischen Prankenschlag mit diesem Stück ausgeführt zu haben. (Ähnlich wie Raymond Roussel, der französische Schriftsteller, der an einem Punkt seiner Entwicklung von Euphorie fortgetragen war: er war sicher, die französische Literatur um Wesentliches vorangebracht zu haben). Das meine ich übrigens immer noch. Die Schwierigkeit ist eben nur, daß ich heute nicht mehr so tun kann, als sei ich immer noch 27 Jahre frisch und unbelastet von allen strategischen Überlegungen. Ich KANN heute nicht mehr das fehlende Zuspielband realisieren, selbst wenn mir einer die Mittel dafür in die Hand gäbe. Meine ästhetischen Maßstäbe haben sich gewandelt, meine Meinung über die Funktion von Zuspielbändern etc... unmöglich: ich bin ein anderer als vor 22 Jahren.
"Zusammenfassung" deswegen, weil alle Rafinessen der seriellen Musik (ohne deren Beschränkungen allerdings), alle Rafinessen der elektronischen Musik bis hin zum Raumklang der Lautsprecheraufstellung (eben nicht wie bei Stockhausen damals in den 4 Ecken des Saales, um eindrucksvoll "sch-sch-sch-sch" im Quadrat zu komponieren, sondern in John Chownings (ich hatte ihn in Kalifornien extra deswegen aufgesucht) Tetraeder-Aufstellung, die jeden Punkt des dreidimensionalen Raumes erfaßt (und ergo Stockhausens viel später erfundene "Octophonie" unnötig macht)).
Natürlich konstruiert sich jeder sein Bild der Musikgeschichte selber. Das ist nicht nur legitim, sondern sogar notwendig zur Definition des eigenen ästhetischen Standpunktes. Natürlich wird jemand wie sagen wir Manfred Trojahn andere Gene besitzen als ich. Das ist völlig normal. Ich stehe dazu.
Broken Book Skizze
• Es gibt sicherlich Parallelen zwischen dem Trio und dem Orgelstück. Außerdem habe ich das Material (Skalen, Rhythmen etc) des Orgelstückes benutzt. Das heißt allerdings nicht, daß ich wie bei den von Dir genannten Stücken eine Miniatur angefertigt hätte. Es gibt keine exakten formalen Entsprechungen, keine "Projektionen". Das Stück kommt auch zu völlig anderen Ergebnissen. Die Funktion, die es hatte war: mich freizuschreiben. Ich hatte eine Schreibblockierung und konnte, trotz fertiger Konzeption und ausgearbeitetem Material keine Note für das Orgelstück schreiben. Erst mit dem Trio habe ich mich freigeschrieben und konnte dann ohne weitere Schwierigkeiten ans Werk gehen.
Ka:
• "Plakativ" weil wörtlich... einige außereuropäische Einflüsse habe ich in der Tat integriert, allerdings keine musikologisch ableitbaren Tatbestände oder Klänge (wenn man von der Vorliebe eines "gebrochenen" Flötenklangs (shakuhachi) in den Flötenstücken und danach absieht), sondern eher "Haltungen", siehe dazu mein Beitrag Der Komponist als Amöbe im wissenschaftlichen Beibuch zur Biennale Hannover 1999.
• Die "Bestandsaufnahme" war ganz persönlich für mich selber gemeint: ich hatte vor allen Dingen in zwei Abschnitten mit Modulationsspektren formale Verschränkungen/Spiegelungen entworfen, die mich später noch mehr beschäftigt haben. Im ersten der beiden Anschnitte (habe keine Partitur hier, aber ich nehme an, Du weißt, was ich meine) habe ich auch durch diese Modulationsspektren für mich die Möglichkeit entwickelt, Harmonik und Timbre ineinander übergehen zu lassen. Ich habe mit diesem Stück meine "Handwerk" sozusagen abgeschlossen...
ZUSAMMENFINDEN:
• Ein Prototyp für die Interaktion verschiedener Parameter, ja. Das kam so: ich wollte das Stück zuerst "normal" notieren, begann auch damit. Zunehmend interesierten mich aber Gleichschaltungen der verchiedenen Parameter und ich begann, zu untersuchen: wieviel kann ich an Notation weglassen ohne Substanzverlust? Mit anderen Worten: wie muß ich notieren, um mit einem Parameter einen anderen automatisch mitzudefinieren? Der Reduktionsprozeß endete mit einer Verbalpartitur, sicherlich nicht gänzlich ohne Einfluß von Stockhausen damals.
uns/euch:
• Eine Sackgasse war das damals sicher nicht. Ich höre das heute auch noch mit Plaisir. Nur: es war mein op 1, sozusagen. Kein Wunder, daß später in meiner Musik Qualitäten auftauchten, die hier noch nicht ausgebildet sind (wie sagt man so schön: da muß man erstmal durch...).
• Die "Experimente" mit aleatorischen Elementen waren ein Zeichen der Zeit und Rudimente von Beeinflussungen von Boulez vor allem, aber auch von Cage. Mit größerer Entfernung zu den Vorbildern oder besser: mit fortschreitender Findung meiner eigenen Musik, meines Weges, wurde das immer mehr zur Randerscheinung, unwichtig...
• Ganz sicher gab es damals einen Einfluß von Stockhausen, vor allem durch seinen zweiten Zyklus von "intuitiven" Stücken mit dem schönen Namen "Für Kommende Zeiten".
Zeitstrahl:
• Ja, die Frage gilt vor allem auch für from fear of thunder... die dem Material innewohnende prozessuale Gestaltung wird meinethalben zerstört, führt aber zu neuen Ergebnissen. Das Grundmaterial muß ja nicht sklavisch durchdekliniert werden. In Alban Bergs "Lyrischer Suite" wird übrigens (siehe mein Essay "Musikalische Prozesse") ebenso verfahren.
Natürlich hat es etwas für sich, wenn ein Prozeß absolut geradlinig, also linear durchgeführt wird. Das wird bei mir nur im ersten Satz der Flötenstücke so gehalten. Sonst schlage ich der Krake die Arme ab und setze sie neu zusammen: in jedem Stück anders. Die prozessuale Gestaltung des Materials hat trotzdem ihren Sinn: alles kommt aus einem Kontinuum und taucht dorthin auch wieder ab. Es ließe sich vergleichen mit dem Benutzen der chromatischen Skala: wenn man nicht eine chromatische Tonleiter spielen läßt - warum dann überhaupt diese Skala?
Textbezogene Musik:
• Eine Erneuerung des Musiktheaters kann auf viele Arten stattfinden, spektakuläre und weniger spektakuläre. Mir war eine formale Frage wichtig: neue Arten des "Durchkomponierens" zu finden, wegzukommen von der Zwangsjacke von Leitmotiven etc. Was mir an formalem Zusammenhang vorschwebte kannst Du erahnen, wenn Du bei der CD vom DUNKLEN HAUS Take 1 mit Take 11 vergleichst, danach Take 2 mit 12 etc. Pièce Noire ist der Kern und Zielpunkt des ganzen Stückes.
Beim Verkommenen Ufer ist es zwar ganz anders, die Interessen aber sind ähnlich, nur ganz anders gelöst. Und natürlich geht es in beiden Fällen auch um die Musik selber, nicht nur um Strategien.
Im Verkommenen Ufer wollte ich zum Beispiel auch vermeiden, daß Simultanszenen so miteinander verschmolzen werden, daß man sie kaum noch trennen kann (wie in Zimmermanns "Soldaten"). Durch die verschiedenen Besetzungen der unterschiedlichen Schichten wirkt es beim Verkommenen Ufer, als würden verschiedene Stücke gleichzeitig gespielt. Nur: es paßt alles zusammen und multipliziert sich gegenseitig in der finalen Wirkung.
ALLGEMEINES
Biographisches
• 1973 die Gründung eines Ensembles: an der MuHo Köln zur Aufführung der Werke aus der Kompositionsklasse, aber auch Anderes (ua einige DEA von Kammermusikwerken von Morton Feldmann)
Kompositionsexamen: Falschmeldung
Zum Werkkatalog
• Leere Mitte und vor Allem VERKOMMENES UFER sollen beendet werden, ja
• Pièce Noire II ist für Tonband; geplant war Tonband, Video + Perc
• (Integral Nr. 2) zu für Rolf: damals plante ich ein Gesamtwerk unter dem Titel Integral, bei dem verschiedene Kammermusikstücke rund um das Publikum plaziert werden sollten. Jedes Stück sollte unabhängig von den andern alleine aufführbar sein; Gesamtaufführungen mit dem Titel Integral hätten alle Stücke gleichzeitig nach einer Generalpartitur zusammengefasst. Ein Stück für zwei Klaviere mit dem Titel Trail war geplant, verworfen, ganz anders realisiert worden, sodaß als einziges Stück für Rolf vorliegt. Das Projekt wurde abgebrochen, da mir die technischen Mittel (vulgo: das Handwerk) fehlten, um die Sache in den Griff zu bekommen.
Das Miteinander der Partituren sollte nach dem Hyperzyklus (siehe unter trail ) organisiert werden. Genaugenommen stellt die Beschäftigung mit diesem Hyperzyklus die Initialzündung für meine jetzige Arbeit dar. Eine zeitlang hatte ich sogar überlegt, ob ich dem neuen Projekt seit SCHREYAHN bzw GRENZGÄNGE STEINE den Generaltitel Integral geben soll. Vielleicht ist der Einfluß von Heiner Müller ("Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten") schuld daran, daß bei größeren Aufführungskomplexen immer alle Titel genannt werden.
• enfin habe ich in der Tat zurückgezogen. War nur ein Gelegenheitswerk, an einem Nachmittag auf dem Balkon komponiert...
ÄSTHETISCHE PHÄNOMENE
Frühe Entwicklung
• Erste künstlerische Prägungen und Schritte waren sicher in der Bildenden Kunst: ich nahm teil an einem Kurs über Moderne Kunst, der in einen kleinen Arbeitskreis mündete. Ich kannte mich dadurch früh - mit 15-16 Jahren - sehr gut aus in allem, was mit zeitgenössischer Kunst zu tun hatte. Daher waren mithin meine ersten Werke damals sogenannte "Environements", heute eher "Installationen" genannt.
• Die Pop-Art war damals gerade das Neueste vom Neuen und heiß diskutiert. In meinem Verständnis bestand sie vor allem aus dem Herausreißen eines bildnerischen Details aus dem Zusammenhang und seiner riesenhaften Vergrößerung; oder: das Herausbilden eines Bildnerischen Topos aus einem nebensächlichen Details (siehe Warhol's Suppendosen). Natürlich besteht Pop-Art auch aus anderen Dingen und Sichtweisen (Wesselman, Rauschenberg, etc etc), aber für mich war das der Hauptzweig.
Ins musikalische übertragen hieß das für mich eine Erneuerung des alten Charakterstückes: die Vergrößerung einer momentanen Stimmung, eines musikalischen Sems (mein Bruder promovierte später in Semantik bzw Psycholinguistik und ich bekam schon lange vorher einiges davon mit) ins Allgemeine: Ausschnittvergrößerung wäre das in der Photographie.
uns/euch ist ein solches Charakterstück in diesem Sinne.
Stockhausen
• mein Interesse für asiatische Musik & Kultur allgemein begann mit dem oben genannten Arbeitskreis viel früher. Ich war ja auch Gitarrist + Komponist in einer Rockgruppe, bevor ich Komponist von "E-Musik" wurde und so gab es sicher auch einen Einfluß der Beatles mit ihren indischen Eskapaden. Stockhausen traf ich viel später.
• nicht so sehr ein Ergebnis der Begegnung mit der Theorie als vielmehr eine ganz praktische Erfahrung: ohne die berühmte Stelle, an der in Stockhausen's Kontakten ein Klang nach unten fällt und die Parameter heruntertransponiert werden (um bei Deiner Terminologie zu bleiben bei aller Vereinfachung: ich verstehe, was Du meinst) hätte ich die Idee zur formalen Klammer von SCHWELLE schwerlich gehabt.
• eher auf Boulez, den ich persönlich kennengelernt hatte und der mich zu Proben mit dem SWF-Orchester in Baden-Baden einlud: das waren trotz großen Interesses meinerseits und einer rasch wachsenden Partiturbibliothek die ersten wirklichen "Erfahrungen" mit Aleatorik (er dirigierte damals zB sein Eclat und ich verfolgte die Proben vollständig mit Partitur).
• es ist offenkundig, daß ich meine "chromatischen" Tempi ohne Stockhausens Vorleistung heute nicht benutzen würde. Als Musikdenker, aber auch als immer wieder gegen den Strich arbeitenden Komponisten gehört er zu meinem Stammbaum: unverzichtbar. Ebenso seine Insistenz bei der Notation. Dieser immer wiederkehrende Satz, wenn ein Interpret anders auf die Notation reagiert als der Komponist es sich vorgestellt hatte: "wie soll ich es dann notieren?", den sollte man jedem Komponisten auf die Stirn schreiben: nie aufhören zu lernen, auch von seinen Musikern.
Der Einfluß Fortners war ähnlich und geht über den von Stockhausen in einem Punkte allerdings hinaus: seine Rigorosität sich selber gegenüber, die er auf mich übertrug: die ist wichtig. Sich niemals etwas vormachen, sondern ehrlich sein mit sich selber; nicht selbstverliebt alles akzeptieren was "dabei herauskommt", sondern immer sich Rechenschaft ablegen: das war sein Einfluß.
Stockhausen - Momentform
• wahrscheinlich gibt es durchaus einen solchen Zusammenhang. Jede Seite des Stückes ergibt einen Abschnitt... man könnte das sehr wohl als "Moment" im stockhausenschen Sinne bezeichnen.
• nein, die Idee der Bonsai-Ästhetik hatte mit Webern, meinen Erfahrungen bei der der klangforschung/Psychoakustik im IRCAM und japanischen Einflüssen zu tun.
Die Eigenständigkeit des Einzelmomentes hielt ich immer für gefährlich. Namentlich Stockhausens Vorstellung, man könne den Konzertsaal verlassen, später zurückkommen und man hätte nichts versäumt schlägt auf ihn selber zurück. Ich musste bei einer UA von Hamel in Donaueschingen ("Dharana") einmal pinkelngehen: als ich zurückkam, hatte ich nachweislich nichts versäumt - die spielten immer noch das gleiche. Die Eigenständigkeit des Momentes erschien mir so immer als eine sehr unwillkommene Fortsetzung einer falschen Richtung; eingeschlagen durch Satie mit seiner "Musique d'ameublement".
• Dazu müsste ich erst einmal die Stelle in Stockhausens Buch nachschlagen; das steht aber in meiner Kölner Bibliothek...
Also: wenn direkter Zusammenhang, dann unbewußt (höchste Lust... (Tristan, Ende...)).
Holismus
• Traditionelles Organismusmodell?: naja, ohne Goethe kein Webern, ohne Webern kein Platz etc. Aus der besagten Stelle in meinem Vortrag geht aber glaube ich hervor, daß dies für mich eine ganz konkrete praktische Erfahrung war und keine Theorie, wie das ganze Gedankengebäude hinter meiner Musik viel weniger theorielastig ist als viele Leute glauben. Der Vorwurf dieser Theorielastigkeit hat mich immer verletzt...
• Der Serialismus stand in der ideologischen Kritik, da er in einen Determinismus umschlug (und zwar gleich zu Beginn in den 50er Jahren), der keinen hörbaren Unterschied zum totalen Zufall aufwies: durch totale Kontrolle verloren die Komponisten die Kontrolle. Der Paradigmenwechsel ist in meiner Musik schon von den allerersten Stücken an hörbar: ich kompiniere im emphatischen Sinne Musik. Ich möchte hier nicht wiederholen, was ich zB im "Formpolyphonie-" Artikel in meinem Buch geschrieben habe (S. 12).
In Kürze also: der "ideologische Hintergrund" ist für mich, daß die elementaren Bausteine der Musik übereinstimmen, und je weiter man nach oben geht in der Ordnung (siehe Buch), desto barocker, freier wird der Umgang damit.
Daß dies mit narürlichen Phänomenen in der Narur (in den Naturgesetzen) übereinstimmt ist erwünscht, aber hat mit Ideologie soviel zu tun wie die Entscheidung eines Archtitekten, ein Haus mit Dach zu bauen (damit die Bewohner nicht naß werden) - wo man auch in der Natur überall Dachfunktionen finden kann...
• Diese Allgemeingültigkeit - auch durch den Hyperzyklus - ist in der Tat - s.o. - angestrebt. Ich bestreite aber vehement, daß deswegen in letzter Konsequenz der Komponist dem Zwang des Materials erliegen muß. Da hat man zu sehr auf schlechte Komponisten oder Tabellenvertoner geachtet. Selbst Boulez hat nach "Structures" anders geschrieben. Wenn dieser Zwang so allgemein und konsequent wäre, dann müssten bei allen entsprechenden Komponsiten die Stücke alle gleich klingen. Das tun sie aber nachweislich nicht. Noch nicht einmal meine Stücke (ich lege darauf sehr viel Wert) klingen einander gleich.
Meinen Satz, ich sei "Teil einer selbstentworfenen Maschine" würde ich, da in dieser Richtung mißverständlich, heute garantiert nicht mehr schreiben.
• ein funktioneller Zusammenhang zwischen den "Archtitekturmodellen" und den "Echo-" Stücken besteht nicht. Die Echostücke sind manchmal zwar auch Vorecho, aber haben mit der Strenge der andern Stücke nichts zu tun.
Ein Beispiel, wenn auch ein vertracktes: Ich wollte das Orgelstück vor dem Streichquartett schreiben, und zwar als Vorausecho, um bestimmte Formabläufe etc auszuprobieren. Ich kam nicht weiter und schrieb das Quartett zuerst fertig. Dann ging die Arbeit am Orgelstück weiter, kam in eine Sackgasse; ich fing neu an und schrieb mich wieder fest: kein Weiterkommen (obwohl ich mir sicher war, daß jetzt das zu benutzende Material und die formale Anlage richtig waren - ich war blockiert, vielleicht einfach deshalb, weil es ein Orgelstück war). Daraufhin schrieb ich als Nachecho zum Streichquartett (von der formalen Anlage her) und mit dem Material des Orgelstückes das Streichtrio (Broken Book Skizze), danach war ich freigeschrieben und machte mich ohne weitere Probleme an das Orgelstück.
Formpolyphonie:
• Ich habe 1970 bei den Darmstädter Ferienkursen sogar einen Arbeirskreis "Politische Musik" organisiert, bei dem ich auch Monsieur Dahlhaus dabei hatte...
Als Beispiel diente meine Komposition Einsatz für Kristi, ein Stück, das recht basisdemokratisch organisiert war.
Dies hat sich im späteren Werk nicht niedergeschlagen. In den jetzigen Werken wird der Hörer auch garnicht politisch-gesellschaftlich aktiviert, sondern erhält schlicht die (Wahl-) Möglichkeit des selektiven Hörens. Ich würde also eher von einer Emanzipation des Hörers sprechen; aber vielleicht meinst Du auch gerade das. Wichtig ist mir dabei auch die Überzeugung, daß der persönliche Hintergrund des Hörers untrennbar mit dem zusammenwirkt, was er hört (siehe Buch S. 155 ff). Jeder also hört letztlich seine eigene Musik, darauf zielt mein Werk auch ab.
• Noch nicht einmal geht es um eine Relativierung der Autorenintention, da es ja keine "Freiheiten" bei der Ausführung gibt: alles ist vorgesehen; auch die Vertauschung des NAH und fern muß ja vom Autor so vorgearbeitet sein, daß es funktioniert.
• So ganz verstehe ich die Frage nicht... Die Prozesshaftigkeit der Form entwirft insofern eine "Zweckhaftigkeit", daß sie ein zu erreichendes musikalisches Ziel aufstellt. Zur Formpolyphonie sehe ich da keinen Widerspruch.
Wohl gibt es prozesshafte und nichtprozesshafte Passagen im Werk; aber erst aus dieser Binnenspannung erwächst auch der formale "Sog", den ich anstrebe.
• Man kann meine Polemik durchaus wörtlich nehmen: sie richtete sich gegen die Komponisten der "Neuen Einfachkeit" und ihre Vermarktung und redete einem musikalischen Diskurs das Wort, im Gegensatz zu den dümmlichen Auslassungen (zB von Bose, der dergleichen auch heute noch wiederholt) markttechnischer Provenienz. Der Begriff vom Materialstand hat mich zwar kurzzeitig - Anfang der 70er Jahre - sehr beeindruckt, aber daß ich gesagt hätte: "der Stand des Materials ist heute so & so, ergo postuliere ich nun die Formpolyphonie", so war es sicher nicht. Ich habe meinen persönlichen Standpunkt versucht, aus der Geschichte herzuleiten. Den Widerspruch sehe ich auch hier nicht...
• Die jetzige Arbeit sehe ich eher als Fortführung von SCHREYAHN, das, als ich es schrieb, noch garnicht Teil eines größeren Werkes war. Das kam danach. Im Rückblick erscheint mir auch die Werkgruppe Rezital und RELAIS (l'œil) Atila roundling als Initialzündung des Werks: als Muster für die Möglichkeiten horizontaler und vertikaler Verknüpfung/Vernetzung.
Es gibt da einen kapitalen Unterschied zwischen den Erfahrungen mit SCHWELLE undVERKOMMENES UFER einerseits und dem Werk der letzten Jahre andererseits: bei den beiden genannten Kompositionen strebe ich nach wie vor komplette Aufführungen an. Beim Werk seit GRENZGÄNGE STEINE ist dies ab einer gewissen Dauer praktisch unmöglich; hier geht es eher darum, immer wieder neue und andere Werkausschnitte aufzuführen.
• Ich bin ein wenig vorsichtig mit Wissenschaftsvergleichen. Wer weiß, ob ich die Teilchenphysik (eher darum geht es als um Quantentheorie) richtig verstanden habe: das Wort vom "creativen Irrtum" gibt es ja schon länger. Ob es sich tatsächlich um ein Äquivalent handelt maße ich mir nicht an, zu postulieren. Inspiriert hat mich das schon, übrigens gehört das in Skizzen entstehende Orchesterwerk mit dem schönen Titel TOP auch noch dazu.
Wenn es manchmal klappt und der Vergleich Wissenschaft / Kunst funktioniert, kann es allerdings zu glückhaften Konstellationen führen. Ich war sehr davon angetan, als ich vor Jahren in Göttingen dem Nobelpreisträger Prof. Eigen gegenübersaß und ihm die Noten von trail erklärte und wie er mir auseinandersetzte, daß ich da nicht nur zu etwas angeregt gewesen sein, sondern daß es sich dabei um einen echten Hyperzyklus handle...
• Ich habe darüber oben schon einiges gesagt. Der Hyperzyklus war ganz sicher eine Hauptquelle. DIE Hauptquelle aber dürfte in "Davinas Fragen" angesprochen sein: mein Lebensgefühl. Immerhin sind auch die allerersten Stücke schon charakterisiert durch Überlappungen, Gleichzeitigkeit von Gegensätzen etc. Dazu kamen Faszinationen für Raumklänge (Monteverdi etc) und Polyphonie... ich habe im Sommer vor meiner Aufnahmeprüfung an der Hochschule Freiburg einen Sommerkurs mitgemacht in Staufen/Baden, wo ich auch in einem Chor mitsang. Dort wurde extensiv Josquin geprobt und gesungen: das kannte ich bis dahin nicht, und es war eine Offenbarung für mich. Ich habe das geliebt!
• Diese Frage überkreuzt sich ein wenig mit einer früheren... Aus der "Ästhetik des Kleinen" sind die Echo-Stücke garnicht herzuleiten. Sie ergeben, aneinandergereit, eine kleinere Version des Großwerks, wenn auch viel freier und ohne Gleichzeitigkeiten. Nennen wir sie "Schwesterstücke" zu den Großen.
Begonnen hatte es mit Echo II. Ich hatte mit viel Schweiß und Arbeit nerv II komponiert und - im Hinblick auf die Überlappung mit ANDERE RÄUME einerseits und WEITER andererseits viele Dinge nicht tun dürfen, auf die ich aber musikalisch gleichwohl Lust hatte. Daher bekam ich die Idee, ein Schwesterstück in der gleichen Besetzung zu komponieren, das mit dem selben Material ganz frei und rhapsodisch umgeht. Das Stück müsste in kürzester Zeit entstehen. Und so geschah es auch. Daraufhin entschloß ich mich, das vorher geschriebene dense in der erweiterten Fassung zum Echo I zu erklären; und seitdem läuft die Reihe weiter...
• Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Stücken des Werkkomplexes seit SCHREYAHN ist auf der Materialebene zunächst durch zwei Dinge gegeben: jedes Stück bezieht seine Skalen und davon abgeleitet seine Rhythmen etc von einer "Mutterskala", die nie zur Gänze, sondern nur in immer wieder neu zu definierenden Ausschnitten benutzt wird. Die wichtigsten Zentraltöne (wichtig, da Zentraltöne von einzelnen "Gesten") sind Teil dieser Skalen. Und jedes Stück ordnet sein Material zu einer Auswahl von diesen insgesamt 8 "Gesten", deren jede einen bestimmten Bewegungs(arche-)typus mit einem Zentralton mit entsprechendem Tempo, einer Dynamik, Klangfarbe etc sowie einem "Vektor" (dynamisch oder statisch, wenn dynamisch wachsend oder abnehmend) zu einer unverwechselbaren Gestalt verdichtet. Diese "Gesten" (mir ist bislang kein besserer Begriff eingefallen - "Strukturen" ist zu allgemein, da die gestalthafte Qualität des "Gestus" nicht darin enthalten sind; "Themen" sind es schon garnicht: die "Gesten" sind nicht themenhaft, entfernt könnte man allerdings ihre Transformationen und ihr Ineinander-Übergehen mit "Durchführung" vergleichen...) werden für jedes Stück ähnlich wie die Skalen in einer neuen Auswahl zusammengestellt.
Der Zusammenhang zwischen up, down, stramge und charm ist übrigens erheblich enger als zum Beispiel der zwischenWEITER und up, da hier noch eine andere Komponente hinzukommt: die vier Stücke dieses Zyklus (der 1. Satz von Tau gehört auch dazu) sind ganz konkret aufeinander hin komponiert, und zwar über die gesamte Dauer jedes der Stücke, während sie sich auf ähnliche Weise nur in den Schlußtakten des Orchesterstückes auf WEITER einstellen.
Inhaltlich gibt es von Stück zu Stück eher Unterschiede, aber das ist auch so angestrebt. Als Beispiel: tôku/NAH überlappt sich fast mit der gesamten Dauer mitANDERE RÄUME, die beiden Stücke gehen mit weitgehend identischem Material um (mit Ausnahme der Stimmen & Texte), kommen aber zu ganz anderen Formen und Aussagen. Das ist kein Widerspruch, sondern Polyphonie im besten Sinne des Wortes.
• Die Differenzierung der einzelnen Stücke habe ich eben gerade versucht zu erläutern. Selbstverständlich kommen zu den genannten Parametern noch räumliche Aufteilung, Besetzung etc dazu. Die Durchhörbarkeit wird gewährleistet durch gemeinsame harmonische Felder und rhythmische Gemeinsamkeiten oder auch Gegensätze: ganz im Sinne der klassischen Polyphonie, nur auf höherer Ebene.
• die jeweils "neuen" Stücke werden durch die zuletzt genannten Maßnahmen auf die anderer Stücke zugeschnitten; jedesmal ein wenig anders, mit Schnitten, Blenden formal verbunden.
Die polyphone Überlagerung wird bei der kompositorischen Arbeit vor allem durch gemeinsame harmonische Felder gesteuert; die Tempi sind meist in harmonischen Relationen zueinander gehalten. Wenn die Tempi einigermaßen stimmen, ergibt sich fast zwangsläufig ein richtiger Zusammenklang. Man hört zum Beispiel in der Aufnahme von Donaueschingen, daß das Ende von nerv II mit dem Beginn von WEITER nicht optimal koordiniert ist (naja: ich höre das...), da die Tempi nicht ganz stimmen. Trotzdem "paßt" es einigermaßen, da der Beginn des Orchesterstückes durch sein Hin- und Herwechseln sich weitgehend auf das Violinkonzert einläßt.
Der extrem leise Werkbeginn bei Tau ist in der Tat prekär, aber auch ungemein aufregend, wenn er gemeinsam mit den anderen Stücken des Zyklus gehört wird: er schält sich langsam aus dem Kontext heraus.
• Eine "gewisse Nähe" meinethalben, man muß auch Gönnen können. Es gibt allerdings einen wichtigen Unterschied: bei Stockhausen steuert die Formel das gesamte Werk in jeder Einzelheit. Bei meiner Arbeit ist dies nicht so: mein Umgang mit dem Material ist erheblich freier und vor allem nicht als Projektion vom Kleinen zum Großen gedacht; also nicht geschlossen, sondern offen. Die Verwendung des Begriffes "Matrix" ist hier im Übrigen gefährlich: es gibt ja in jedem Stück eine andere "Matrix", die indes eine Nummernfolge ist, die die Reihenfolge der Skalentöne kontrolliert. Das hast Du glaube ich hier nicht gemeint, ich habe in dem Sinne, den ich in Deiner Frage vermute, geantwortet.
• Die größere Offenheit drückt sich zum Einen in dem gerade geschilderten Tatbestand aus. Zum Andern - und abgesehen von den verschiedenen Aufführungsmöglichkeiten - durch den in jedem Stück ein wenig anders berücksichtigten Zwang, auf die benachbarten Stücke einzugehen und ein gemeinsames Ganzes zu bilden. Das mag im Einzelfall sogar (Beispiel: das Verhältnis ANDERE RÄUME / nerv II) eine grandiose Schlußsteigerung im einen Stück im Hinblick auf eine besondere Passage im andern Stück bedeuten, wenn auch als Einzelfall. Generell gehört es zum kompositorischen Ziel, den Widerspruch zwischen angestrebter Finalwirkung jedes Stückes (jeweils wieder auf andere Art) und dieser ebenso angestrebten Offenheit zu überwinden.
Technische Fragen:
• Die Temposchichtungen gehen vom Tempo aus, das jeweils mit einem Zentralton korreliert und so leicht fassbar bleibt: ein c verhält sich zu einem g wie 2:3, und so können die Tempi 61 (=c) und 92 (=g) sehr leicht übereinandergelagert werden.
• Aus der Verschiedenheit der Materialstrukturen ( = der "Gesten") und aus der ganzen Anlage meiner Musik resultiert die Wichtigkeit des Hörenkönnens (oder: Verstehenkönnens). Allerdings ist dies keine absolute, sondern eine relative Größe, abhängig von Vorbildung, Erkenntniswilligkeit etc des Hörers. Ich gebe zu, daß einzelne Passagen des Ganzen bei Übereinanderlagerung ganzer Stücke (Donaueschingen) nicht gleichzeitig durchgehört werden können. Dies ist aber kein Widerspruch; der Hörer wird je nach Sitzplatz und Hörfähigkeit (s.o.) Anderes oder weniger oder mehr hören. Die Forderung der Durchhörbarkeit besteht auf jeden Fall im Einzelfall eines Stückes (ich verweise allerdings auf Charles Ives' Memo "how do you know you don't hear?" in Bezug auf dichte Überlagerungsstellen).
Ästhetische Fragen (nicht weiter differenziert):
• Postmoderne: es war klar, daß eine Innovationswelle wie in den 50er Jahren des XX. Jahrhundrts nicht ungebrochen auf alle Zeiten weitergehen würde. Ich bin kein Marxist: die Geschichte geht nicht auf einen Endpunkt zu, an dem sie sich in einem goldenen Zeitalter erfüllt; also auch die Musikgeschichte nicht. Und wenn es so wäre, so wären es die 50er Jahre sicher nicht gewesen.
Daß für alles und Jedes ein neues Etikett gefunden werden müsste war ebenso klar. Was unter Postmoderne subsumiert wurde, war allerdings allzuoft ein beliebiges Durcheinander mit oft eindeutig rückwärts gewandter Philosophie = Restauration.
Inzwischen sprechen manche wieder von einer Neomoderne, ich laß' sie reden und lege eigentlich garkeinen Wert darauf zu wissen, mit welchem Etikett meine Musik beklebt wird.
• Über die Noten hinausgehende Aussage: das ist wahrscheinlich eine für mich typische Antwort: Ja und nein. Im Moment des Komponierens und jede Partitur für sich - da würde ich Stravinskys Wort rechtgeben, nach dem Musik nichts und rein garnichts außer den Noten transportiert. Trotzdem... es ist mir klar, daß die Gesamtanlage meiner Musik selbstverständlich über die Noten hinaus verweist auf politische Vorstellungen von Gleichberechtigung verschiedener Schichten etc.
• Kann Musik politisch sein?: Im eben gesagten Sinne ja. Aber nur in diesem Sinne. Politische Musik im Sinne von Agitationsmusik ist austauschbar: ein Marsch ist ein Marsch ist ein Marsch, bei den Kommunisten und bei den Faschisten.
Meine Musik handelt vom Respekt vor dem Anderssein, vom Den-Andern-Vortreten-Lassen; eigentlich ist sie (ich meine das Gesamtwerk seit 1989) nicht nur eine musikalische, sondern auch eine humanistische, eine politische Utopie.
• Welche Funktion hat Musik?! Eigentlich waren die bisherige Fragen Teilfragen hierzu. Unmöglich, dies mit einem Satz zu beantworten. Musik ist Spiegel der Welt, so wie sie ist, so wie sie sein könnte/sollte, so wie sie nicht sein sollte (Musik ist also auch Klage), musikalisches Bild philosophischer Gedankengebäude, Äußerung privater Regungen, Musik ist Liebe, Haß, Musik ist Denksport, Glasperlenspiel, Volksunterhaltung (im guten Sinne), Bildungsinstrument, Erziehungsmittel, und so viel mehr.... über mein REQUIEM habe ich geschrieben "leben ist gegen den Tod ansingen, sterben: sich in Klang auflösen" - Musik ist, in der Musik geht es um Leben und Tod.
EINZELNE WERKE:
Zu Maro & STILLE:
• Bei diesem Stück war das polyphone Verhältnis unter den Einzelsätzen noch sehr rudimentär: Polyphonie spielt sich ab in dem Spannungsfeld der einzelnen Schichten in STILLE. die ersten beiden Sätze habe ich verknüpft durch einen gemeinsamen Ton (das hohe h) von Klavier und Violine; und das nicht einmal in der Partitur. Ich habe die Partitur nicht hier in Hannover; aber Du wirst sicher die Stelle leicht finden.
Requiem:
• Durch die Nichtaufführung von SCHWELLE als Ganzem erlangte dieses Stück für mich eine quasi existenzielle Bedeutung. Daher der Transfer ins REQUIEM. Eine genuin musikologische Begründung gibt es nicht.
SCHWELLE:
• Ich wollte vor allen Dingen einen größtmöglichen Farbenreichtum, darüber hinaus - je nach Kontext (ja, natürlich ist dies kontextbedingt; niemand hört jeden Klang absolut und denkt: aha, Pierrot Lunaire...) - durchaus eine Art Semantik.
Vergleich: das Anna Livia Plurabelle - Kapitel aus Finnegans Wake von Joyce, in das hunderte, wenn nicht tausende von Flußnamen eingewoben sind als Metatext. Die Parsifalglocken in SCHWELLE III dürfte man erkennen können, einige wenige andere Farben auch... kontextbezogen: die Parsifalglocken natürlich deswegen, weil es nacheinander vier Töne in der "richtigen" Reihenfolge sind. Würden die Bayreuther Klangfarben benutzt, wäre der Fall absolut klar.
Schönbergs letztes Stück aus op 19 würde man hören, wenn der Dirigent der UA etwas kapiert hätte und es hörbar gemacht hätte. Aber das spielt in ein hier nicht zu erörterndes Kapitel über den Zusammenhang von Komposition und Dirigieren/Interpretation hinein - auch eine Ar Kontextbezogenheit.
• Es existiert leider kein Tonband zu SCHWELLE. Nach einer persönlichen Anfrage bei Boulez Mitte/Ende der 80er Jahre lud der mich ein, das Tonband im IRCAM zu realisieren. Das wäre ca ein Jahr Arbeit gewesen. Da SCHWELLE aber für Orchester und nicht für Ensemble (=Intercontemporain) geschrieben ist gab es keine Möglichkeit für einen Auftrag: ich hätte ein ganzes Jahr Paris ohne Dirigate etc + Miete und alles was man braucht selber finanzieren müssen. Ich konnte es nicht; gab die Einladung zurück zugunsten eines Projektes mit Ensemble, wofür ich dann auch einen Auftrag bekam - daraus wurde PIÈCE NOIRE und der Anfang der Arbeit an DUNKLES HAUS.
Seitdem wüsste ich vielleicht eher, wie ich an Förderungen - DAAD oder was weiß ich - kommen könnte, um das Projekt zu realisieren. Gleichzeitig bin ich am Nachdenken, ob ich für Ensemble und ohne Tonband eine Neufassung mache... das Problem ist die Zeit: ich dirigiere, komponiere natürlich an meinen neuen Stücken, organisiere... und das Komponieren an den aktuellen Stücken ist mir näher als die Spielbarmachung eines alten Werkes; auf der anderen Seite habe ich 6 Jahre mit diesem Stück verbracht, die verloren sind, würde es NIE gespielt...
• Das Rückwärtslaufen der Jahreszeiten hat den Grund, das Stück mit einer enormen Steigerung beenden zu können: alles läuft ja auf den SCHWELLE-Moment hinaus, wo durch die Beschleunigung aus einem Rhythmus eine Tonhöhe wird etc...
Auf der andern Seite fand ich diese Gegenläufugkeit schön. Keine Ahnung,warum. Als Gegenmittel zu all den bis dahin schon komponierten "Jahreszeiten"? Oder aus "astronautischen Gründen" (siehe Analyse zu Turm )?
• Die erste Anregung, wenn überhaupt von einem der beiden, kam von Cage. Trotzdem fand ich die Art, wie Stockhausen und Cage mit Sternkarten umgingen, immer sehr naiv. Ich projeziere entsprechend die Sternbilder nicht einfach auf ein Notenblatt; mir ging es eher um eine wirkliche Umsetzung: Heranziehung der Entfernungen (in Lichtjahren = Hertz) etc...
• Da gibt es keine Beliebigkeiten, da ich ja zwar die Sternkarte quasi wissenschaftlich genau umgesetzt habe, aber die Parameter der Umsetzung selbst definiert habe. Darüber hinaus habe ich nicht irgendwelche Vogelrufe imitiert (kuckuck), sondern in ihr Inneres gehorcht und weitergeschrieben. Ich glaube eigentlich nicht, daß ein Hörer unbedingt an Amseln denkt, wenn er SCHWELLE I hört.
• Nein, bei SCHWELLE gab und gibt es keine aufführungspraktische Utopie. Nur Pech: ich war zu jung, als daß ein Redakteur mir ein ganzes Konzert gewagt hätte zu geben. Der damalige SWF-Chef (Hommel, später Darmstädter Ferienkurse) wollte die UA in Donaueschingen haben, aber Josef Häusler stellte sich quer. Schlicht und einfach: Pech....
Nachdem der I. und III. Teil in München bzw Köln aufgeführt war, kamen die Herren Redakteure zu dem Schluß, das Stück sei ja schon gespielt worden und weiteres Engagement in der Sache unnötig: so schrieb mir allen Ernstes der vielgerühmte, aber leider strohdumme Dr. Clytus Gottwald, das Stück sei "ja kürzlich schon gespielt worden. Im Übrigen..." sei der von mir für das Cover der Partitur benutzte alte Stich "eine Fälschung des 19. Jahrhunderts". Laß Deinen Sohn nie Komponist werden, Henning...
• Die SOLI und ENSEMBLES funktionieren in der Tat wie Fußnoten, nur haben sie einen völlig anderen Hintergrund: sie sind nur das Material, aus dem dem Stück komponiert wurde, sie projezieren nicht das Stück oder seine Archtitektur selber.
Das geht zurück auf meine Beschäftigung mit den Brontë-Schwestern und ihrem Jugendwerk Gondal, auf das ich durch den Brontë-Text von Arno Schmidt aufmerksam wurde. In diesem Buch (das übrigens mikroskopisch klein geschrieben war) waren alle Materialien als Bestandteil der Komposition mit integriert: ein Lexikon der Personen, Stammbäume, Karten etc. Das war die Inspiration, die mich dazu brachte, Skalen, Permutationsmuster etc in das Stück - ja, eben wie Fußnoten - einzufügen.
• Vollmundig?... naja, ich war 27 Jahre alt damals und war mir sicher, einen musikhistorischen Prankenschlag mit diesem Stück ausgeführt zu haben. (Ähnlich wie Raymond Roussel, der französische Schriftsteller, der an einem Punkt seiner Entwicklung von Euphorie fortgetragen war: er war sicher, die französische Literatur um Wesentliches vorangebracht zu haben). Das meine ich übrigens immer noch. Die Schwierigkeit ist eben nur, daß ich heute nicht mehr so tun kann, als sei ich immer noch 27 Jahre frisch und unbelastet von allen strategischen Überlegungen. Ich KANN heute nicht mehr das fehlende Zuspielband realisieren, selbst wenn mir einer die Mittel dafür in die Hand gäbe. Meine ästhetischen Maßstäbe haben sich gewandelt, meine Meinung über die Funktion von Zuspielbändern etc... unmöglich: ich bin ein anderer als vor 22 Jahren.
"Zusammenfassung" deswegen, weil alle Rafinessen der seriellen Musik (ohne deren Beschränkungen allerdings), alle Rafinessen der elektronischen Musik bis hin zum Raumklang der Lautsprecheraufstellung (eben nicht wie bei Stockhausen damals in den 4 Ecken des Saales, um eindrucksvoll "sch-sch-sch-sch" im Quadrat zu komponieren, sondern in John Chownings (ich hatte ihn in Kalifornien extra deswegen aufgesucht) Tetraeder-Aufstellung, die jeden Punkt des dreidimensionalen Raumes erfaßt (und ergo Stockhausens viel später erfundene "Octophonie" unnötig macht)).
Natürlich konstruiert sich jeder sein Bild der Musikgeschichte selber. Das ist nicht nur legitim, sondern sogar notwendig zur Definition des eigenen ästhetischen Standpunktes. Natürlich wird jemand wie sagen wir Manfred Trojahn andere Gene besitzen als ich. Das ist völlig normal. Ich stehe dazu.
Broken Book Skizze
• Es gibt sicherlich Parallelen zwischen dem Trio und dem Orgelstück. Außerdem habe ich das Material (Skalen, Rhythmen etc) des Orgelstückes benutzt. Das heißt allerdings nicht, daß ich wie bei den von Dir genannten Stücken eine Miniatur angefertigt hätte. Es gibt keine exakten formalen Entsprechungen, keine "Projektionen". Das Stück kommt auch zu völlig anderen Ergebnissen. Die Funktion, die es hatte war: mich freizuschreiben. Ich hatte eine Schreibblockierung und konnte, trotz fertiger Konzeption und ausgearbeitetem Material keine Note für das Orgelstück schreiben. Erst mit dem Trio habe ich mich freigeschrieben und konnte dann ohne weitere Schwierigkeiten ans Werk gehen.
Ka:
• "Plakativ" weil wörtlich... einige außereuropäische Einflüsse habe ich in der Tat integriert, allerdings keine musikologisch ableitbaren Tatbestände oder Klänge (wenn man von der Vorliebe eines "gebrochenen" Flötenklangs (shakuhachi) in den Flötenstücken und danach absieht), sondern eher "Haltungen", siehe dazu mein Beitrag Der Komponist als Amöbe im wissenschaftlichen Beibuch zur Biennale Hannover 1999.
• Die "Bestandsaufnahme" war ganz persönlich für mich selber gemeint: ich hatte vor allen Dingen in zwei Abschnitten mit Modulationsspektren formale Verschränkungen/Spiegelungen entworfen, die mich später noch mehr beschäftigt haben. Im ersten der beiden Anschnitte (habe keine Partitur hier, aber ich nehme an, Du weißt, was ich meine) habe ich auch durch diese Modulationsspektren für mich die Möglichkeit entwickelt, Harmonik und Timbre ineinander übergehen zu lassen. Ich habe mit diesem Stück meine "Handwerk" sozusagen abgeschlossen...
ZUSAMMENFINDEN:
• Ein Prototyp für die Interaktion verschiedener Parameter, ja. Das kam so: ich wollte das Stück zuerst "normal" notieren, begann auch damit. Zunehmend interesierten mich aber Gleichschaltungen der verchiedenen Parameter und ich begann, zu untersuchen: wieviel kann ich an Notation weglassen ohne Substanzverlust? Mit anderen Worten: wie muß ich notieren, um mit einem Parameter einen anderen automatisch mitzudefinieren? Der Reduktionsprozeß endete mit einer Verbalpartitur, sicherlich nicht gänzlich ohne Einfluß von Stockhausen damals.
uns/euch:
• Eine Sackgasse war das damals sicher nicht. Ich höre das heute auch noch mit Plaisir. Nur: es war mein op 1, sozusagen. Kein Wunder, daß später in meiner Musik Qualitäten auftauchten, die hier noch nicht ausgebildet sind (wie sagt man so schön: da muß man erstmal durch...).
• Die "Experimente" mit aleatorischen Elementen waren ein Zeichen der Zeit und Rudimente von Beeinflussungen von Boulez vor allem, aber auch von Cage. Mit größerer Entfernung zu den Vorbildern oder besser: mit fortschreitender Findung meiner eigenen Musik, meines Weges, wurde das immer mehr zur Randerscheinung, unwichtig...
• Ganz sicher gab es damals einen Einfluß von Stockhausen, vor allem durch seinen zweiten Zyklus von "intuitiven" Stücken mit dem schönen Namen "Für Kommende Zeiten".
Zeitstrahl:
• Ja, die Frage gilt vor allem auch für from fear of thunder... die dem Material innewohnende prozessuale Gestaltung wird meinethalben zerstört, führt aber zu neuen Ergebnissen. Das Grundmaterial muß ja nicht sklavisch durchdekliniert werden. In Alban Bergs "Lyrischer Suite" wird übrigens (siehe mein Essay "Musikalische Prozesse") ebenso verfahren.
Natürlich hat es etwas für sich, wenn ein Prozeß absolut geradlinig, also linear durchgeführt wird. Das wird bei mir nur im ersten Satz der Flötenstücke so gehalten. Sonst schlage ich der Krake die Arme ab und setze sie neu zusammen: in jedem Stück anders. Die prozessuale Gestaltung des Materials hat trotzdem ihren Sinn: alles kommt aus einem Kontinuum und taucht dorthin auch wieder ab. Es ließe sich vergleichen mit dem Benutzen der chromatischen Skala: wenn man nicht eine chromatische Tonleiter spielen läßt - warum dann überhaupt diese Skala?
Textbezogene Musik:
• Eine Erneuerung des Musiktheaters kann auf viele Arten stattfinden, spektakuläre und weniger spektakuläre. Mir war eine formale Frage wichtig: neue Arten des "Durchkomponierens" zu finden, wegzukommen von der Zwangsjacke von Leitmotiven etc. Was mir an formalem Zusammenhang vorschwebte kannst Du erahnen, wenn Du bei der CD vom DUNKLEN HAUS Take 1 mit Take 11 vergleichst, danach Take 2 mit 12 etc. Pièce Noire ist der Kern und Zielpunkt des ganzen Stückes.
Beim Verkommenen Ufer ist es zwar ganz anders, die Interessen aber sind ähnlich, nur ganz anders gelöst. Und natürlich geht es in beiden Fällen auch um die Musik selber, nicht nur um Strategien.
Im Verkommenen Ufer wollte ich zum Beispiel auch vermeiden, daß Simultanszenen so miteinander verschmolzen werden, daß man sie kaum noch trennen kann (wie in Zimmermanns "Soldaten"). Durch die verschiedenen Besetzungen der unterschiedlichen Schichten wirkt es beim Verkommenen Ufer, als würden verschiedene Stücke gleichzeitig gespielt. Nur: es paßt alles zusammen und multipliziert sich gegenseitig in der finalen Wirkung.