Als das Papier seinen Namen noch nicht bekommen hatte, die Alten also noch auf Papyrus schrieben, war dieses Schreibmaterial ein kostbarer Stoff.
Um zu sparen, wurde gelegentlich eine ursprüngliche Beschriftung entfernt und der selbe Papyrus noch einmal neu beschrieben.
Schreiben wurde so schon früh zum Gegen-etwas-Anschreiben, zum Überschreiben von etwas, das es bereits vorher gegeben hatte.
Die Schreiber der Alten Zeit blieben indes damit nicht alleine: das Übermalen und Überschreiben wurde zu einer Technik, die zu allen Zeiten immer wieder die Phantasie der Künstler - Maler, Komponisten, ja Architekten - beflügelte.
Ein Musterbeispiel neuerer Zeit für das Überschreiben ist der „Wunderblock", eine aus verschiedenen Schichten montierte Wachsplatte, die beliebig oft beschrieben und durch einen einfachen mechanischen Schiebevorgang wieder gelöscht werden kann.
Sigmund Freud beschrieb 1925 in seiner „Notiz über den Wunderblock", daß jeder Schreibvorgang aber eine wenn auch noch so schwache Spur in der Wachsplatte hinterlässt, die jeden Löschvorgang übersteht und erkannte den Wunderblock so als ein Modell unseres Gedächtnisses in seiner Aufteilung von Kurz- und Langzeitspeicher.
Alles Geschriebene tritt so in Beziehung zu vordem Geschriebenen, bildet einen virtuellen Kontrapunkt dazu, Polyphonie.
So fallen hier Gedächtnis und Polyphonie ineins: Gedächtnis wird Polyphonie und umgekehrt.
In meinem Zyklus Wunderblock versuche ich, dem nachzugehen, dem Gedächtnis mehrfach eine neue Stimme einzuschreiben und auf diese Art eine Polyphonie zu schaffen, die zum Paradigma des musikalischen Gedächtnisses wird.
Kiefer war als Hommage an Karlheinz Stockhausen zu dessen 80. Geburtstag geplant und wurde durch Stockhausens plötzlichen Tod zu einem musikalischen Nachruf.
Ihm und mir gemeinsam ist ein tiefes Interesse an der japanischen Kultur, das sich bei mir insbesondere in der Betrachtung einer spezifischen Ästhetik des Kleinen konkretisierte. Aus sehr wenig (Tönen) sehr viel zu machen, eine dem Nô-Theater geschuldete rituelle Haltung, das Integrieren der Stille... dies alles findet sich wieder in einem Text aus dem Jahr 905, der der Komposition zu Grunde liegt:
Tane shi areba |
Because there was a seed |
Da ein Samen hinfiel |
Iwa ni mo matsu wa | A pine has grown even here | Wuchs eine Kiefer sogar |
Hainikeri |
On these barren rocks |
Hier auf nacktem Fels |
Koi wo shi koiba |
If we really love our love |
Lieben wir unsre Liebe |
Awarazarame ya wa |
What can keep us from meeting? | Sollten wir uns dann nicht mehr sehn? |
(Deutsche Fassung: RHPP)